Boger’s General Analysis ist nun in der 6. Auflage
erhältlich. Es bildet die Grundlage für die 3. Auflage seines
Kartenrepertoriums. Boger erklärt, daß sein Kartenrepertorium sich dem eigenen
Denkprozeß mehr annähert als alle Hilfsmittel, die bisher benutzt worden sind.
Er sagt:
„Es ist mehr als alles andere
einer denkenden Maschine angenähert, und es ist aufgebaut auf dem
Denkmaschinen-System, so wie die Lochkarten-Systeme die Rechenmaschinen sind.
Es kann eine Zahlenreihe schneller addieren als man es selber kann, und dies
basiert auf genau demselben Prinzip.“ (Gr32)
Das
Kartenrepertorium besteht aus 339 Karten. Jede Karte entspricht einer Rubrik im
General Analysis, wobei weniger Rubriken verwendet werden und mehr Gewicht auf
pathologische Allgemeinsymptome, die eher pathologische Zustände sind, gelegt
wird, z.B. Bläulich, Krampfhafte oder zuckende Effekte, Husten, Blutung, u.a.,
als auf die Krankheitsdiagnose. Weitere Beispiele pathologischer Allgemeinsymptome
in diesem Buch sind: Eiweißartige Absonderungen, Trockenheit, Rohheit, Warzen
(ein allgemeiner Ausdruck, der Kondylome, schwammartige Auswüchse, Polypen u.
ä. beinhaltet) etc. - wenn einer dieser pathologischen Zustände in drei oder
mehr Lokalisationen des Patienten wiedergefunden wird. Bei der Boger-Methode
sind diese pathologischen Allgemeinsymptome am bedeutendsten, weil sie die
gegenwärtigen Tendenzen der Gesamtkonstitution oder lebenslange Effekte in dem
anatomischen Wirkungsbereich, in dem ein Symptom sich zeigt, wiedergeben.
Im
General Analysis sind auch Rubriken für herausragende Gemütszustände enthalten,
z. B. Zorn, Furchtsam, Aufregung, Traurigkeit, etc. Jeder dieser Gemütszustände
bei dem Patienten sollte von einem aufmerksamen und sorgfältigen Therapeuten,
der über eine gründliche Kenntnis von Logik und Psychologie verfügt, bestimmt
werden.
„Richtige
Schlußfolgerungen und wirksame Behandlungen beruhen oft mehr auf den eigenen
Beobachtungen und Sinneseindrücken der Therapeuten als auf irgend etwas, das
andere oder sogar der Patient selbst ihnen schildern können.“
Eine
Anzahl loser Fakten muß zusammengeführt werden, und durch induktives Vorgehen
müssen die Gemütszustände durch eine Generalisierung erfaßt werden.
„Weil sich der Gemütszustand,
bewußt oder unbewußt, im allgemeinen Verhalten, im Gespräch, im
Gesichtsausdruck, in den Vorlieben und Abneigungen und dem Schlafverhalten wie
auch im spontanen sprachlichen Ausdruck offenbart.“
All
diese Symptome des Falls werden zusammengetragen; ihre Ursache, Ursprung, Dauer
müssen bestimmt werden, ihre Modalitäten notiert und ihre wechselseitigen
Beziehungen geknüpft werden. Überdies wollen Patienten selten mit der
Erscheinung einer krankhaften Gemütsverfassung in Verbindung gebracht werden.
Deshalb wird das Generalisieren des Gemütszustands zu einer höchst schwierigen
Aufgabe des Therapeuten. Jedoch, einmal generalisiert, zeigen die
Gemütsrubriken den Gemütszustand des Patienten an, seine Stimmungen, Vorlieben,
Ängste, etc., und deshalb den Menschen und nicht einzelne Teile oder Organe.
Wenn sie charakteristisch vorhanden sind, sind sie der wichtigste Teil in der
abschließenden Generalisierung und Vervollständigung der Totalität, auf der die
Verschreibung des Simillimums beruht.
Nach
der Methode von Kent spielt die Pathologie keine besonders große Rolle. Sein
Schema der Reihenfolge der Wichtigkeit von Symptomen ist nach Dr. Margaret
Tyler folgendes:
Allgemeinsymptome
(in Bezug auf den Patienten als Ganzes):
(1) Geistes-
und Gemütssymptome – Symptome, die sich auf den Willen, den Verstand und das
Gedächtnis beziehen (wenn sie sehr klar und ausgeprägt sind).
(2) Körperliche Allgemeinsymptome. Die
Reaktionskraft im Ganzen auf die körperliche Umwelt, z. B. auf Zeit und
Jahreszeiten, Hitze und Kälte, Feuchtigkeit und Trockenheit, Sturm und
Gewitter, Lage, Druck, Bewegung, Stoß, Berührung, etc.
(3) Verlangen
und Abneigungen, nicht so sehr Vorlieben und Abneigungen, sondern extremes
Verlangen und Widerwillen.
(4) Menstruation
der Frau. Allgemeine Verschlimmerungen vor, während und nach der Menstruation.
Von geringerer Bedeutung: Frühe, späte, übermäßige Menstruation (wenn nicht
körperliche Ursachen wie Polypen, Fibrome, Menopause zugrunde liegen).
Lokalsymptome
(Einzelsymptome, die nicht den Patienten im Ganzen beschreiben, sondern einen
Teil):
(1)
Höchstwertig:
Symptome, die sonderlich, ungewöhnlich, unerwartet, unerklärlich sind.
(2) Gewöhnliche
Symptome.
Nach
dieser (Kent’schen) Methode wählt der Therapeut zuerst herausragende
Gemütssymptome aus, die entsprechend oben stehender Reihenfolge hierarchisiert
werden, und kombiniert sie bei der Repertorisation mit den körperlichen
Allgemeinsymptomen, so daß eine Arbeitsgrundlage für die Auswahl des
chronischen Arzneimittels entsteht. Die ersten Arzneimittel an der Spitze
werden dann mit den in der Patientenkartei aufgelisteten Lokalsymptomen
abgeglichen, um zu prüfen, ob sie diese abdecken. Bei dieser Methode - wie bei
der Boger-Methode - geht man an dieser Stelle von Allgemeinsymptomen zu den
Einzelsymptomen weiter. Einige Einzelsymptome müssen jedoch ausgeschlossen
werden, wenn sie nicht folgerichtig auf den Fall bezogen werden können. Solche
Symptome werden „Zufällige Symptome“ genannt, und sie dürfen die Wahl des
Arzneimittels nicht beeinflussen, denn
„eine Verschreibung kann nur
auf solchen Symptomen basieren, deren Entsprechung oder Ähnliches auch in der
Materia Medica wiedergefunden wird.“
Ein
Einzelsymptom soll nicht im Widerspruch zu deutlich hervorgehobenen
Allgemeinsymptomen stehen; gleichzeitig dürfen deutliche Einzelsymptome im
Vergleich mit einem oder sogar mehreren schwachen Allgemeinsymptomen nicht
vernachlässigt werden.
Schließlich
werden die wenigen Arzneimittel, die offensichtlich angezeigt sind, in der
Materia Medica studiert, in der Absicht, das ähnlichste Arzneimittel
herauszusuchen.
Alle
Arzneimittel des General Analysis sind auf jede Karte gedruckt, und die
hochwertigsten Arzneimittel der Rubrik, deren Bezeichnung oben links gedruckt
ist, sind perforiert. Um die Totalität der Symptome in jedem einzelnen Fall zu
bilden, werden diejenigen Karten, die die charakterisierenden Symptome des
Patienten enthalten, aufgenommen und übereinandergelegt. Wenn man sie im
Gegenlicht betrachtet, erhält man eine durchgehende Stanzung bei einer kleinen
Anzahl angezeigter Arzneimittel. Die letzte Entscheidung zugunsten eines
Simillimum beruht auf dem Nachschlagen in der Materia Medica oder anderen
geeigneten Nachschlagewerken.
Boger
sagt:
„Es ist üblich, das
Heilmittel auf vier oder fünf Arzneimittel zu reduzieren und dann den Fall in
der Materia Medica nachzuschlagen. Meine eigene Erfahrung hat ergeben, daß ich
selten das Arzneimittel mit dem höchsten durch die Karten angezeigten Grad
auswähle. Dies ist selten das angezeigte Arzneimittel. Im allgemeinen ist es
das Mittel, das als zweites oder drittes in der Liste aufgeführt ist. Und wenn
dann nach dem Materia Medica-Studium noch Zweifel bestehen – und in einigen
Fällen ist es schwer, auf den Punkt zu kommen, neulich hatte ich erst einen,
ich mußte über einen oder zwei Tage darüber nachdenken, bevor ich zu einer
Entscheidung kommen konnte, welches Arzneimittel ich verabreiche – benutze ich
die Vergleichende Materia Medica nach Gross, um die Arbeit abzuschließen.
Ich möchte deutlich sagen,
daß man nicht immer die Arzneimittel aus der Materia Medica heraus bestimmen
kann; man muß seine Repertorien und Bücher über Vergleichende Materia Medica
benutzen, um die Aufgabe abzuschließen.“ (Gr32)
Weiterhin
klärt er über die Schwierigkeiten beim Nachschlagen in der Materia Medica in
Bezug auf Einzelsymptome und „diskrete“ Symptome auf.
„Angenommen man hat ein
Symptom des Abdomens, bei dem der Patient auch Druck am Scheitel verspürt.
Unter der Rubrik „HEAD“ wird der Druck am Scheitel überhaupt nicht zu finden
sein ( in der Reinen Arzneimittellehre). Es ist ein Begleitsymptom unter
„Abdomen“ und dieser „Druck am Scheitel“ ist sogar das Leitsymptom dieses
Falles. Es hat die größte Bedeutung im ganzen Fall in diesem besonderen Fall.“
(Gr32)
(weil es ein Begleitsymptom für die Hauptbeschwerde des Patienten ist.)
„Wenn man dann die Materia
Medica heranholt und mit dem Symptom „Druck am Scheitel“ intensiv nach dem
Arzneimittel sucht (Nat.-m.), wird man es niemals finden, denn es steht in
einem anderen Abschnitt.“ (Gr32)
„wird man häufig die
Lokalisation eines Symptoms sozusagen völlig zusammenhanglos finden.“ (Gr32)
Bevor
er dieses Kartenrepertorium entworfen hat, hatte Boger festgestellt, daß er die
bisher gebräuchlichen Kartenregister nicht zu seinem Vorteil benutzen konnte.
Er hielt sie für zu schwerfällig, für zu mühsam in der Handhabung und für zu
umfangreich. Deshalb entwickelte er nach und nach ein Kartenrepertorium, das
ihm entsprach, und, um Boger zu zitieren:
„später übertrug ich es auf
Lochkarten, um den Gebrauch zu erleichtern. Im fortgesetzten Umgang mit diesen
Karten entwickelte sich allmählich ein System, das auf einer dreifachen
Klassifizierung von Symptomen beruht: Erstens grundlegende, konstitutionelle
oder lebenslange Effekte, zweitens der gegenwärtige Zustand, der ein frischer
oder akuter Ausbruch der tiefer liegenden Tendenzen ist, und, drittens, die
Modalitäten.... Seine Grundlage ist im
Wesentlichen die Philosophie des Organons.“ (Gr32)
„Bönninghausen folgte
ursprünglich der von den Lokalisationen zum Allgemeinen fortschreitenden
Methode, wie man sie in seinem Taschenbuch vorfindet; in seinem späteren Leben
hat er die wesentlichen Züge herausgehoben, ihre Begleitsymptome und Umstände
herausgefunden und die Wertigkeit der klinischen Bestätigung hinzugefügt. All
dies ist sehr verständlich in seinen „Aphorismen der Hippokrates“ kurz vor
seinem Tod veröffentlicht worden.“ (Gr32)
Um
Boger erneut zu zitieren:
„Wir haben Hahnemann’s grundlegenden oder zentralen Gedanken, daß der
therapeutische Wert eines gegebenen Symptoms umso größer ist, je weiter es vom
normalen Krankheitsverlauf entfernt scheint. Wenn wir alle Symptome eines
gegebenen Syndroms sammeln, ist es nicht immer leicht, das zentrale Symptom
herauszufinden, um das all die anderen gruppiert sind, und wenn uns dies sogar
gelungen ist, ist es um nichts leichter, es im Rahmen einer Arzneimittelprüfung
zusammen mit den meisten anderen benötigten Symptomen zu finden. Die Methode
erfordert Umsicht wie auch Scharfsinn. Die umgekehrte Methode trägt alle
Symptome zusammen, wobei sie den Schwerpunkt auf ihre numerische Häufigkeit
legt, aber sie stützt den Fall auf die feineren Abstufungen. Dies ist äußerst
arbeitsaufwendig und oft aus vielen Gründen unpraktikabel.
In meinem Kartensystem habe ich
einen Mittelweg gewählt, indem ich die anatomische Wirkungsrichtung
herausfinde, in der ein Symptom auftritt oder erscheint; diese wird zuerst
durch die Modalitäten eingeschränkt, dann wird die Zahl der verbleibenden
Arzneimittel reduziert, indem ich auf das „diskrete“ (einzelne) Symptom achte,
wie es im Kent angegeben ist. Dies reduziert bald die Arzneimittel auf eine
kleinere Anzahl, wobei der Ausdruck des
Gemüts, wie er in der Pathogenese vorliegt, entscheiden wird.“ (Italics
ours) (Dha)
Offensichtlich ist dies eine Anweisung, den Fall
nicht mit einem Gemütssymptom zu eröffnen. Hierin unterscheidet die
Boger-Methode sich wieder deutlich von der Kent’schen Methode, bei der der Fall
mit Gemütssymptomen begonnen wird, wenn sie hervorgehoben sind.
Dr.
Stuart Close schreibt auch in „Der Genius der Homöopathie“:
„ Gemütssymptome, die bei der
Fallaufnahme erscheinen, sind immer von höchstem Rang als Bestandteil der
abschließenden Generalisation und Vervollständigung der Totalität, auf der die
Verschreibung beruht.“
Bönninghausen scheint auch zu keiner Zeit einem
Gemütssymptom die größte Bedeutung beigemessen zu haben. Während er über die
Modalitäten schreibt, merkt er an:
„Alle diese Kennzeichen sind
so zuverlässig und sind durch so verschiedenartige Erfahrungen verifiziert
worden, daß kaum ein anderes ihnen im
Rang gleichgesetzt werden kann – geschweige denn sie überragt.“ (Italics
ours)
Bei der Boger-Methode, die der Bönnighausen’schen
eng folgt, ist es deshalb offensichtlich, daß Gemütssymptome bei der Erschließung
eines Falls nicht den ersten Platz einnehmen.
Kein
Zweifel
„es gibt gewisse
Gemütszustände, dauerhaft und eingewurzelt in die Verfassung oder Konstitution,
die sehr stark sind. Aber das sind vergleichsweise wenige und oft nicht
aufgedeckt.“
Und
„obwohl von hoher Bedeutung
und Wahl hinweisend, korrekt oder nicht, sind sie nicht so zuverlässig als
Schutz vor einer falschen Wahl wie die bedeutenden körperlichen
Allgemeinsymptome.“
„Mit wenigen Ausnahmen sind
die Symptome, welche die Reaktion der Patienten auf solche Einflüsse anzeigen,
welche die körperliche Existenz bedingen wie Temperatur, Feuchtigkeit,
Veränderung von Funktionen und Eindrücken, die daraus entstehen, wie Aktivität,
Ruhe, Zeit etc. am zuverlässigsten, um die Wahl sicherzustellen.“
„Obwohl das sympathische
System[1]
nicht die Quelle des Lebens ist, sind seine Symptome von ihrer Art her
beständiger und sein Ausdruck vitaler. Deshalb sind sie zuverlässiger als
Wegweiser bei der Bildung der Totalität.“
Eine weitere Erklärung in etwas veränderter
Ausdrucksweise mag einige Punkte für einige Leser klarstellen. Dr. Royal E. S.
Hayes, M.D., schreibt:
„Boger’s Synoptic Key in Form der Karten zusammen
mit dem General Analysis ist meiner Meinung nach bei weitem das beste der
Repertorien.“ (Ha39)
Er empfiehlt, mit Hilfe der Karten, die
Haupteinflüsse der organischen und funktionellen Störungen der Patienten in
einer zusammengefaßten Anordnung von Symptomen in Korrelation zu bringen. Dies
führt schließlich zu einer kleinen Anzahl an Arzneimitteln, aus der das
bestmögliche Arzneimittel bzw. das Simillimum herausgefunden werden kann. Diese
kleine Anzahl an Arzneimitteln kann durch die weitere Ausarbeitung mit dem
General Analysis noch mehr verringert werden. Auf diese Weise, sagt er, kommt
der Verschreiber schnell und sicher dicht an die endgültige Auswahl heran.
Diese Sicherheit ist abhängig vom Wahrnehmungsvermögen und vom Urteilsvermögen
bei der Auswahl. Das Urteilsvermögen wird bei der Wahl der ersten oder der
maßgebenden Rubrik benötigt, und genau an diesem Punkt setzt der geistige
Scharfsinn ein, wodurch viel Zeit gespart werden kann. Diese Vorgehensweise ist
schon oft von geschickten Anwendern des Repertoriums praktisch erprobt worden,
indem sie eine kurze Übersicht aufgestellt haben, wenn es sinnvoll war. Bei der
Boger’schen Methode ist sie aber wegen der meisterhaften Auswahl an
Rubrikentiteln (Karten) besonders vorteilhaft. Dadurch ist es wahrscheinlicher,
daß das beste Arzneimittel von Anfang an beinhaltet ist und weniger
wahrscheinlich, daß es am Ende der Arbeit ausgeschieden ist.
Boger war sehr angetan von dieser Arbeitsmethode,
die sich Dr. Hayes angeeignet hat, und er erklärte, daß sie ihn zu noch
weiteren Möglichkeiten angeregt hat, das Repertorium zu benutzen.
Einer der Vorteile des Karten Repertoriums ist es,
daß es dabei hilft, sich leicht zu entscheiden, welchem Arzneimittel der
negative Wert zugeordnet wird, wenn bei eng konkurrierenden Arzneimitteln
Symptome fehlen – da die Rubriken des Repertoriums sehr zwingend sind.
Desweiteren hat dieses Karten-Repertorium besonderen Wert bei der Ausarbeitung
von symptomarmen Fällen.
Boger hatte eine immense
praktische Erfahrung, auch mit allen Arten von Krankheiten. Er hatte viele
Jahre damit verbracht, dieses Werk auf den jetzigen Stand zu bringen. Die gegenwärtigen
Ausgaben des Karten-Repertoriums und des General Analysis spiegeln seine
letzten Ideen hinsichtlich der Wertigkeiten wider und sind deshalb in jeder
Hinsicht viel besser. Auch fügte er neue Rubriken nur mit Vorsicht ein, und nur
dann, wenn seine persönliche Arbeit sie benötigte. Dies hat die Benutzbarkeit
erhöht und hat ihn vor dem Einfluß weniger sachdienlicher Rubriken bewahrt.
Einige Rubriken wie Feuchtigkeit, Gelb, Absonderungen amel. (Unterdrückung),
Locker, Entspannung, Untätig, etc. haben den Platz für so viele weitere
Bedeutungen eingenommen. Die gesamte Anzahl an Rubriken ist so auf den
kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert worden, und einige Rubriken sind
enthalten, die in anderen Repertorien nicht zur Verfügung stehen. Boger hat erfolgreich
in einer Rubrik unterschiedliche Einflüsse oder Zustände, die die kranken
Menschen beeinflussen, vereinigt, und dies hat das Karten-Repertorium so
überlegen gemacht – als das schnellste und das sicherste.
In
der alltäglichen Praxis wird die Generalisierung sehr wenig verstanden und sehr
oft zum Schaden von guter Arbeit vernachlässigt. Eine heilend wirkende
Verschreibung kann nur auf „Allgemeinsymptomen“ basieren, die die
Einzelsymptome beinhalten und aus ihnen abgeleitet worden sind. Das Karten Repertorium
wird deshalb den homöopathischen Verschreiber darauf hinweisen, daß das
Generalisieren eine der wichtigsten Aufgaben ist, die er im Prozeß der
Arzneimittelfindung bewerkstelligen muß. Ferner sollte man erkennen, daß die
feinere homöopathische Kunst die Beachtung folgender Regel erfordert, daß
„der höchste von allen Rängen
den Symptomen gebührt, die nicht nur eigentümlich sondern auch allgemein sind.“
Boger
schreibt:
„In jedem System muß es
offensichtlich sein, daß eine größere Pathogenese mehr Fälle abdeckt als eine
kürzere; dies ist ein weiterer Grund, warum wir Experten darin werden sollten,
die ausgefallenen und ungewöhnlichen Symptome als unsere Wegweiser
herauszufinden.“
Solche ausgefallenen und ungewöhnlichen Symptome
werden häufiger unter denen gefunden, die vom normalen Verlauf der Krankheit
abzuweichen scheinen. Das sind diejenigen, die auch „Begleitsymptome“ genannt
werden.
Für die jungen Studenten bietet das General Analysis
die Gelegenheit, mit den bedeutsamsten und entscheidenden Einflüssen, die auf
die Lebenskraft des Patienten einwirken, vertraut zu werden, was wegen ihrer
nach außen gekehrten Richtung zu einer Schar von Symptomen führt. Es wird ihnen
auch die Bedeutung der Unterdrückung von Symptomen aufzeigen (siehe Karte 004
...Absonderungen amel.). Die Rubriken
des General Analysis sind in alphabetischer Reihenfolge angeordnet, mit
Querverweisen und Synomymen. Es ist deshalb angebracht, im General Analysis die
gesuchten Rubriken nachzuschlagen, bevor man die entsprechende Karte aus dem
Stapel entnimmt und diese dann durch eine mitgelieferte, farbige Karte[2]
ersetzen kann. Die Karten sind in numerischer Reihenfolge angeordnet, um Zeit
und Aufwand zu sparen, wenn man sie wieder einsortieren will.
(Erarbeitet mit Boger’s Karten Repertorium)
Mrs.
B., 45 Jahre alt, nullipara (eine Frau, die nicht entbunden hat), von normaler
Größe und Gewicht.
Hauptbeschwerde:
Seit
drei Monaten Hauteruptionen mit Schmerzen in den Gelenken.
Hautausschläge (122) (Die Zahlen in den Klammern beziehen
sich auf die Kartennummern der entsprechenden Rubriken[3]),
mehr oder weniger symmetrisch, hauptsächlich papulär; einige vesikulär (031)
und bullär; sehr wenige pustulär, als unregelmäßige, einzelne Flecken, sich von
der Haut abhebend und bedeckt mit Schuppen (002); ein Fleck in der vorderen
Falte des rechten Knöchels, mehr verdickt als die anderen Flecken. Diese
Hautausschläge waren an jeder Stelle des Körpers lokalisiert, außer dem Gesicht
und dem Kopf. Keine Eruptionen konnten im Mund entdeckt werden. Wenige
Eruptionen wurden im Nacken gefunden. Die Farbe der Eruptionen war
veilchenartig. Der Ausbruch neuer Hautausschläge machte sich weit mehr
bemerkbar, wenn das Wetter bewölkt war (314). Das Jucken (142) der Eruptionen
war weniger zu spüren, wenn warmes Wasser über sie geleert wurde, aber wurde
verschlimmert durch Zugluft (321), die der Patientin vor dieser Unpässlichkeit
immer willkommen gewesen war. Das Gefühl des Brennens (129) war in der Nacht
(196) heftig und wurde gebessert durch Zugluft (321). Sie hatte ein Gefühl der
Schwere (263) in der Haut – als ob ihr etwas anhaften würde.
Aber
die Schmerzen in den Gelenken (095), den Ellbogen, Handgelenken und Fingern
waren schlechter durch Zudecken (061) und wurden erleichtert durch leichten
Druck der anderen Hand. Eine Schwellung der Gelenke war nicht vorhanden und der
Schmerz wurde durch Bewegung nicht verschlechtert.
„Verschlimmerung
der Gelenkschmerzen durch Zudecken“ war das jüngste Symptom und sehr
hervorstechend.
„Brennen
der Haut“ und „Schmerz in den Gelenken“ wechselten (316). Einerseits
verbesserte sich das „Brennen der Haut“ beim Warmwerden, während andererseits
durch das Zudecken der „Schmerz in den Gelenken“ einsetzte und dann nur durch
Aufdecken wieder gelindert werden konnte.
Plötzliche,
konvulsive Bewegung des Nackens mit Schmerz im Musculus trapezius, gefolgt von
Wässern (076) des Mundes war ein altes Symptom, das ab und an während des
letzten Jahres wieder aufgetreten war.
Ihre
Handflächen waren so heiß (131), daß sie es nicht ertragen konnte, ihre anderen
Körperteile damit zu berühren; im Gegensatz dazu waren ihre Füße kalt (145).
Magen
und Darm:
Übelkeit (303) mit der Dauer von 6 Monaten,
begleitet von Speichelfluß (076) und auch von Durst auf kleine Schlucke kalten
Wassers; Verschlimmerung um 2 Uhr nachts und Besserung nach dem Erbrechen, das
oft sauer war; die Störung hielt im allgemeinen bis 6 Uhr oder 7 Uhr an und
wurde besser nach dem Essen. Sie hatte eine Abneigung gegen Milch, die immer
Übelkeit hervorrief und zum Erbrechen führte.
Der Stuhl war normal und zufriedenstellend. Die
Hämorrhoiden waren stumm; in der Vorgeschichte gab es juckende und stechende
Hämorrhoiden.
Menses:
Die
Patientin war nun in der Menopause. Die Vorgeschichte der Menstruation war
normal.
Geistessymptome:
Keine
von Bedeutung. Sie gehörte zu der Gruppe von Patienten, die ihr Los geduldig
ertragen. Sie kam aus einer höheren Gesellschaftsschicht.
Allgemeinsymptome:
Ihre
Beschwerden begannen allgemein abends, z. B. Jucken, Schmerzen in Finger- und
Ellbogengelenken, Sodbrennen, Aufstoßen – alles ab 16 Uhr.
Sie
bemerkte: „Meine Verfassung hat sich durch Injektionen verschlechtert; jede
Injektion verschlechterte meine Beschwerden – und trotzdem wurde darauf
bestanden, daß ich noch mehr Injektionen bekommen sollte!“ Sie hatte auch
verschiedene Salben zur äußerlichen Anwendung.
Sie
war seit langem in Behandlung. Sie und ihr Mann waren von mir vor über 20
Jahren mit Spirochäten- und Gonokokkeninfektionen behandelt worden. Seitdem war
die Wassermann-Reaktion über lange Perioden kontinuierlich negativ gewesen.
Klinische
Diagnose:
Lichen Planus
Auswahl des Heilmittels:
Um
Boger zu zitieren:
„Wir haben Hahnemann’s grundlegende oder
zentrale Idee, daß der therapeutische Wert eines Symptoms um so größer ist, je weiter
es von dem normalen Verlauf der Erkrankung entfernt ist.“
„Schmerz
in den Gelenken“ ist ein solches Symptom – ein Symptom weit entfernt von dem
normalen Verlauf der Hauptbeschwerde der Patientin – Lichen Planus.
Wir
haben ein weiteres Zitat:
„Die zuletzt aufgetretenen Symptome eines
Falls müssen gleich hinter den besonderen und allgemeinen Symptomen eingeordnet
werden, oder sie müssen zuweilen sogar den Vorrang haben.“
Die
Modalität der „Schmerzen in den Gelenken“ war nicht nur erst seit kurzem vorhanden,
sondern auch hervorstechend und deutlich. Es war das Symptom, das als letztes
aufgetreten ist, bevor die homöopathische Behandlung einsetzte. Deshalb war in
diesem Fall „Schmerzen in den Gelenken“, mit „Verschlechterung durch Zudecken“
ein Symptom von erster Priorität bei der Auswahl des Arzneimittels.
Beim Übereinanderlegen der Karten Nr. 095 (Gelenke,
arthritische Beschwerden, etc.) und Nr. 061 (Entblössen amel., warme Umschläge
agg.) erscheinen Calc. c., Led., Lyc., Puls. und Sulf. als die Gruppe der
beiden Karten gemeinsamen Arzneimittel. Die Auswahl des Arzneimittels für den
beschriebenen Fall sollte deshalb erwartungsgemäß auf diese Gruppe beschränkt
bleiben. Wenn ein Heilmittel aus dieser Gruppe erkennbar wäre, das dem Fall in
seiner Gesamtheit entspräche, würde man erwarten, daß dieses Arzneimittel den
Fall sehr tief beeinflussen würde und merkliche Heilerfolge hervorrufen würde.
Die
folgende Tabelle führt die verwendeten Karten auf, um die Haupteinflüsse auf
die organischen und funktionellen Beschwerden der Patientin gegenüberzustellen;
die Wertigkeit der Arzneimittel in den entsprechenden Rubriken wurde mit Hilfe
des General Analysis festgelegt: Großbuchstaben als dreiwertig, Fettdruck als
zweiwertig und Normaldruck als einwertig.
Kartennummer |
Rubrik |
Calc. c. |
Led. |
Lyc. |
Pul. |
Sul. |
|
120 |
Haut |
1 |
0 |
2 |
1 |
3 |
|
122 |
Hautausschläge |
2 |
0 |
2 |
1 |
3 |
|
031 |
Bläschen,
Blasen |
1 |
0 |
0 |
0 |
2 |
|
002 |
Abschuppung |
2 |
0 |
0 |
0 |
3 |
|
129 |
Hitze,
brennen |
0 |
0 |
2 |
3 |
2 |
|
142 |
Jucken |
2 |
0 |
1 |
2 |
3 |
|
263 |
Schwere,
allgemein |
1 |
0 |
0 |
3 |
2 |
|
145 |
Kälte,
partielle |
1 |
0 |
1 |
2 |
3 |
|
131 |
Hitze,
partielle |
1 |
0 |
1 |
2 |
3 |
|
095 |
Gelenke,
arthritische Beschwerden,... |
2 |
1 |
1 |
1 |
2 |
|
316 |
Wechselnde
Effekte |
0 |
0 |
2 |
2 |
2 |
|
076 |
Feuchtigkeit,
verstärkte Sekrete allgemein |
2 |
0 |
1 |
2 |
3 |
|
303 |
Übelkeit |
0 |
0 |
0 |
2 |
0 |
|
061 |
Entblössen
amel. |
1 |
1 |
3 |
1 |
2 |
|
314 |
Wärme
agg. im Allgem. |
0 |
1 |
1 |
3 |
1 |
|
321 |
Wind,
Zugluft oder Luft, agg. |
2 |
0 |
1 |
1 |
3 |
|
196 |
Nachts,
agg. |
0 |
0 |
0 |
2 |
1 |
|
144 |
Kälte
und Hitze, agg. |
1 |
0 |
1 |
0 |
1 |
|
|
|
13/19 |
3/3 |
12/18 |
14/29 |
17/38 |
|
Der
Zähler bildet die Anzahl der Rubriken, in denen das Arzneimittel steht,
während der Nenner die Summe der Wertigkeiten eines Mittels ist. |
|||||||
Beim
Übereinanderlegen dieser Karten bleibt Sulphur als einziges durchgehendes
Arzneimittel bestehen.
Weitere
Einzelsymptome werden in „Boger – Bönnighausen’s Characteristics and
Repertory“, 2. Auflage, gefunden:
Seite |
Rubrik |
Calc. c. |
Led. |
Lyc. |
Pul. |
Sul. |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
474–2 |
Abneigung
gegen Milch |
3 |
0 |
0 |
4 |
2 |
|
509-1 |
Übelkeit
< durch Milch |
3 |
0 |
0 |
2 |
2 |
|
507-2 |
Übelkeit
< vor dem Essen |
0 |
0 |
0 |
2 |
4 |
|
901-1 |
Gefühl
von Schwere, wie von einem Gewicht |
0 |
0 |
0 |
0 |
2 |
|
Pulsatilla ist in der langen Liste der Arzneimittel
für schuppende Eruptionen in „Boger –
Bönnighausen’s Characteristics and Repertory“, S. 952-2 nicht aufgeführt und
sehr unzureichend in der Rubrik „Blasen“(BBCR, S.977-1).
Sulphur
ist hervorstechend in der Rubrik „Verschlechterung am Abend“ (BBCR S. 1104-1);
es deckt auch dieses eigentümliche, einzelne, andauernde Symptom ab: „Nacken;
ziehendes Rucken in den Muskeln“ (siehe Allen’s Handbook of Materia Medica, S.
1072-2). Sulphur war offensichtlich das führende Arzneimittel.
Die
Dame war in erbärmlicher Verfassung. Deshalb wurde Sulphur, obwohl es sehr
stark angezeigt war, als Einzelgabe in der 30. Potenz verordnet, damit nicht
höhere Potenzen eine heftige Reaktion hervorriefen. Salben wurden nicht
verschrieben. Der Patientin wurde geraten, bei Verschlechterung der
Hautbeschwerden, verursacht durch das Aufplatzen von Blasen, die Haut mit
sterilem Kokosnußöl zu versorgen, und dasselbe auch äußerlich vor einem warmen
Bad aufzutragen. Seife wurde nicht erlaubt.
Zwei
Tage nach der Verordnung von Sulph, 30 waren das Jucken und Brennen und die
Schmerzen in den Gelenken verschwunden. Die Schuppen der Eruptionen begannen
abzufallen, zweifellos stärker nach dem Baden und beim Abreiben danach mit
einem Handtuch. Die Dosis wurde nach sechs Tagen mit gutem Erfolg wiederholt,
da es einen Rückfall gegeben hatte. 24 Tage später wurde Sulph. 200 als
Einzelgabe verordnet, weil ein erneuter Rückfall aufgetreten war. Nach einer
anfänglichen Verschlechterung ging es der Patientin erneut besser. 21 Tage
später wurde es nach einem erneuten Rückfall in gleicher Potenz wiederholt.
Wieder nach 21 Tagen wurde wegen eines Rückfalls mit Schmerzen in den Gelenken
Sulph. 1000 als Einmalgabe verordnet. Die Hautpigmentierung war zu dieser Zeit
sehr viel weniger ausgeprägt. Ein Rückfall, den Gastrointestinaltrakt, die
Gelenke und die Haut betreffend, führte drei Wochen nach dieser Verschreibung
zur wiederholten Einmalgabe von Sulph. 1000. Aber diesmal hielt die Besserung
nicht lange an. Nach einem erneuten Rückfall, 12 Tage nach der letzten Gabe,
wurde Sulph. 10 M verordnet. Zweieinhalb Monate später machte die Patientin
noch zufriedenstellende Fortschritte. Sulfur wurde bei jeder Arzneigabe am
frühen Morgen, nüchtern, eingenommen.
Nach
Behandlungsbeginn war das Fortschreiten der Hautausschläge fast sofort
aufgehalten. Und obwohl es Rückfälle gab, wie oben beschrieben, waren diese nur
subjektiver Natur, und es wurde eine stetige und zunehmende Verbesserung im
Ausmaß und der Farbe der betroffenen Hautareale erreicht.
L.D.Dhawale
Girgaon, Bombay
Dezember
1940
Übersetzung des Original- Vorworts Dhawale’s im
Rahmen des Boger-Arbeitskreises Karlsruhe.
Anschrift der
Übersetzerin:
Dr. rer. pol.
Claudia Röll-Bolz
Am Steinweg 18
g
76297 Stutensee
Literaturquellen
Gr32 J. Green: Repertory Making,
Repertory Uses, Homoeopathic Recorder Bd. XLVII, 1932, pp. 726 – 741;
Homoeopathic
Heritage, 1995, Oct. 20 (10); 685 – 700.
Dha M.
L. Dhawale: Principles & Practice of Homoepathy, Institute of Clinical
Research, 40, Parekh Street – Girgaon, Bombay 400004.
Ha39 R.
Hayes: Repertories, Boger’s Especially, Homoeopathic Recorder Bd. LIV, 1939, p.
12.
BBCR C.
M. Boger: Bönnighausens Characteristics and Repertories, B. Jain Verlag, New
Delhi.
Die
Inzidierung und Belegung der von Dhawale zitierten Literaturstellen wurde von
Dr. Norbert Winter, Karlsruhe, eingefügt und von der Übersetzerin übernommen.